Wilhelm Kirchensteiner
Klimapionier seit 40 Jahren
Wilhelm Kirchensteiner ist aufgrund seines langjährigen Engagements im Klimaschutz ein Urgestein der Pioniere im Dachauer Land. Während seiner Lehre zum Elektroinstallateur und anschließendem Studium der Elektrotechnik und Physik erwarb er sein breites Fach- und Praxiswissen, das er mit Leidenschaft und Überzeugung seit vier Jahrzehnten als Berufsschullehrer und Berater weiter-gibt. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2013 machte er sich aktiv auf den Weg und unterstützte weltweit viele Klimaschutzprojekte und Bildungsinitiativen. Sein persönliches Motto war stets, nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Taten sein Wissen zu teilen. Impulse zum Klimaschutz im Dachauer Land setzte er über Schulen, öffentliche Vorträge und in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Dachau.
In Anerkennung seiner Pionierarbeiten wurde Wilhelm Kirchensteiner 2021 vom Landkreis Dachau mit dem Energiepreis und von der Bayerischen Staatsregierung mit dem ersten Bayerischen Klimaschutzpreis ausgezeichnet.
PV-Labor
Herr Kirchensteiner, was macht Sie zum Klimapionier im Dachauer Land?
Als wir ab 1980 unser Haus in Markt Indersdorf bauten, versuchte ich, dieses Haus ohne fossile Energieversorgung zu gestalten. Als die technische Entwicklung ab 1982 Photovoltaikmodule zur Stromversorgung liefern konnte, baute ich eine kleine Solarstromanlage in unserem Hause ein, die ich stetig vergrößert und technisch optimiert habe. Weil meine Aktivitäten auf öffentliches Interesse stießen, habe ich ab 1985 auch in öffentlichen Vorträgen die Mitbürger*Innen im Landkreis Dachau über diese Techniken informiert. Parallel zur Hausenergieversorgung versuchte ich auch die Mobilität ohne fossile Energien zu realisieren. Dazu entwickelte ich ab 1982 ein Elektrofahrzeug-system, das aus einem Fahrradanhänger bestand. Für die technische Lösung erhielt ich ein Patent, allerdings war das Interesse für innovative Fahrradlösungen in dieser Zeit noch sehr gering.
Wichtiger war mir damals in den Schulen neue Ideen zu Klimaschutz zu vermitteln und durch praktische Umsetzung mein Wissen weiterzugeben. So entstanden ab 1988 mit Unterstützung weiterer Lehrer Solarstromprojekte an der Hauptschule Markt Indersdorf. Diese technischen Innovationen wurden auch vom Bayerischen KM verbreitet und dienten als Grundlage des Bayerischen Programms "Sonne in der Schule".
Bis heute habe ich ehrenamtlich viele Bürger*Innen des Landkreises bei Sanierungen und Neubauten zur solaren Energienutzung beraten und konnte durch die Musteranlagen in unserem Haus zur teilautarken Energieversorgung bei Strom und Wärme überzeugen. Noch heute werden bei diversen Veranstaltungen das von mir entwickelte „Energierad“, der „Solarstromkoffer“, autarke Stromversorgungen oder auch Solarthermie- und Wärmepumpenanlagen vorgestellt.
Klimakonferenz in Bonn
Was hat Sie zum Handeln motiviert?
Wichtige Erkenntnisse und Motivation für den Klimaschutz waren 1972 die Veröffentlichungen des „Club of Rome“ mit den Schriften „Grenzen des Wachstums“ von Meadows. Während meines Studiums wurde mir bewusst, dass wir Menschen am ehesten zum Handeln motivieren, wenn nicht nur Worte gesprochen, sondern auch deren praktische Umsetzung gezeigt wird. Deshalb habe ich meinen Lehrauftrag an Schulen nicht nur als Theorievermittlung verstanden, sondern auch die Handlungsorientierung als pädagogische Herausforderung gesehen. Da aber gerade an Schulen meist die personellen als auch finanziellen Ausstattungen fehlen, musste ich zunächst die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Hier kamen mir meine handwerkliche Ausbildung und langjährige Erfahrung zugute. Natürlich musste ich auch erhebliche private Finanzmittel in dieses Lehrengagement investieren. Dabei konnte ich aber Beruf und Hobby gut verbinden. Viele der Prototypen, die ich für die Umsetzung zum Klimaschutz entwickelt hatte, wurden später von Lehrmittelfirmen angefragt und nachgebaut. Dies ermöglichte eine teilweise Refinanzierung meiner Ausgaben.
Viel wichtiger war mir aber, dass mein Fachwissen mit konkreten Funktionsmodellen und den von mir dafür geschriebenen Lehrbüchern Verbreitung fanden. Auf dieser Basis konnte ich mit Unterstützung meiner Lehrerkollegen und der EU-Kommission ab 1996 die „Solarteurschulen“ in vielen EU-Ländern gründen. Damit wollte ich eine Weiterbildungsmöglichkeit für die klassischen Bauberufe schaffen, um die für eine Energiewende hin zum Klimaschutz notwendigen Handwerker zu qualifizieren.
Bauprojekt Solarstromkoffer
Was geben Sie den Menschen aus dem Dachauer Land mit?
Angesichts der aktuellen Energiekrise, den Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit verbundenen Bedrohungsszenarien müssen wir uns gemeinsam auf eine „Zeitenwende“ einstellen. Neben den momentanen Einschränkungen zeigen sich aber auch große Chancen. Nicht weiteres Wirtschaftswachstum und Konsum, sondern gemeinsames Handeln zur Lösung der sozialen, energetischen und umweltrelevanten Probleme kann neue Lebensperspektiven für unsere Bürger*Innen eröffnen. Vor allem die dezentrale erneuerbare Energieversorgung kann in unserem ländlich geprägten Landkreis neue Beschäftigungschancen anbieten. Bayerische Förderprogramme für den Ausbau von PV- und Windenergieanlagen könnten viele neue Arbeitsplätze schaffen und von den Landratsämtern und Initiativgruppen wie Dachau AGIL mit gezielten Beratungsangeboten unterstützt werden. Damit könnten „Bürgerenergie-genossenschaften“ besonders gefördert und Kooperationen mit örtlichen Landwirten und Handwerkern organisiert werden. Ein wichtiger Schritt zur Ablösung fossiler Energieträger wäre die Schaffung von Biogas-Satellitenkraftwerken und Nahwärmenetzen, wie sie bereits seit Jahren von der Familie Götz in Markt Indersdorf betrieben werden. Auf Landkreisebene können Infoangebote für die Bürger, beispielsweise in Schulen oder VHS, das notwendige Fachwissen und die Motivation für die Energiewende zum Klimaschutz steigern. Besonders sollten junge Menschen auf den großen Bedarf an qualifizierten Handwerkern für ihre Berufsausbildung aufmerksam gemacht und Handwerksbetriebe für ihr Engagement zur Energiewende unterstützt werden.
Learning-by-doing im Senegal
Meine Vision: Im Jahr 2030 ist das Dachauer Land für mich eine Region in der…
…der Energiebedarf der Häuser und Wohnungen weitgehend über den Strom aus Solar-, Biogas- und Windenergieanlagen versorgt werden. Viele Häuser haben eigene PV-Anlagen auf dem Dach und Stromspeicher installiert. Immer mehr Autos und LKW fahren mit E-Antrieb und laden die Akkus dafür mit Erneuerbaren Stromquellen. Der Dämmstandard der Häuser wurde weiter verbessert und Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen oder Nahwärmenetzanschlüsse ersetzt. In mehreren Gemeinden haben Bürger sich in Energiegenossenschaften zusammengefunden und betreiben gemeinsam mehrere Windräder oder auch PV-Freiflächenanlagen. Viele Landwirte haben sich mit dem Aus- und Umbau von Biogasanlagen eine neue Einkommensperspektive geschaffen und versorgen sowohl mit wohnortnahem Lebensmittelanbau, als auch über Nahwärmenetze ihre Mitbürger*innen. Dabei sind auch Agri-PV-Anlagen im Landkreis entstanden, die neben der Strom-produktion auch neue Kulturen im Pflanzenanbau ermöglichen und bayernweit als Vorzeigebetriebe gelten. Wegen der inzwischen gesicherten Energieversorgung für alle Mitbürger*innen haben sich soziale Probleme durch extreme Energiekosten aufgelöst und durch viele wohnortnahe Beschäftigungs-möglichkeiten im Handwerk, Handel und Verwaltung nahezu Vollbeschäftigung eingestellt. Deutsche Entwicklungen im Erneuerbaren Energiebereich lassen sich gut verkaufen, die Rolle Deutschlands und seiner Regionen zum Klimaschutz findet wieder weltweite Wertschätzung, die immer mehr auch in autokratischen Systemen respektiert wird.
Wir danken Wilhelm Kirchensteiner für seinen Einsatz und seine Visionen!
Lesen Sie auch die Vorträge, die Wilhelm Kirchensteiner zum "Tag der Regionen" am 03.10.2022 präsentiert hat: